Rotes Kreuz und Henry Dunant
(2014) Es war eine regnerische Nacht im Juni 1859, als sich eine einsame
Kutsche durch Norditalien vorkämpfte. In ihrem Inneren
saß der Genfer Kaufmann Henry Dunant, der sich auf einer
wichtigen Geschäftsreise befand. Dunant war fest entschlossen,
eine Audienz bei Napoleon III., dem mächtigen Kaiser der
Franzosen, zu erhalten. Dunant wusste, dass Napoleon sich hier irgendwo
in der Nähe seiner kämpfenden Truppen aufhielt.
Plötzlich fand sich der Reisende inmitten eines Schlachtfeldes
wieder. Dunant war entsetzt: Am Rande des Dorfes Solferino fochten die
französischen gegen die österreichischen Truppen eine
schreckliche Schlacht aus.
Am Abend blieben Tausende Tote, Verwundete und Sterbende auf dem
Schlachtfeld zurück. Aber die Sanitätstruppen waren
der Situation nicht gewachsen und die erschöpften und
verletzten Soldaten auf beiden Seiten hatten genug damit zu tun, sich
selbst zu retten.
Es wurde dringend Hilfe gebraucht. Entschlossen richtete Dunant ein
behelfsmäßiges Hospital in der Dorfkirche ein. Dort
erhielten die Verwundeten und Sterbende Aufmerksamkeit und Pflege. Die
Dorfbewohner leisteten Tag und Nacht wertvolle Hilfe bei der Behandlung
der Franzosen und der Österreicher in gleicher Weise. Auch die
letzten Worte der Sterbenden nahmen sie auf und sandten sie an die
Hinterbliebenen.
Schließlich kehrte Dunant in die Schweiz zurück.
Sein Buch „Eine Erinnerung an Solferino“ wurde 1862
veröffentlicht. Hier schlug er vor, in jedem Land eine
neutrale, unabhängige Hilfsorganisation zu gründen,
die im Kriegsfall allen Bedürftigen Schutz und Pflege zukommen
lassen sollte.
Die Idee war revolutionär und fand Gehör. Kurze Zeit
später gründete Dunant mit Gleichgesinnten das
„Internationale Komitee vom Roten Kreuz“.
1864 trafen Diplomaten aus aller Welt zu einer Konferenz zusammen. Sie
einigten sich auf die erste Genfer Konvention zur Verbesserung der Lage
verwundeter und kranker Soldaten. Viele Jahre nach dem ersten und
Zweiten Weltkrieg folgten weitere Verträge.
1912/13 wurden zahlreiche regionale Vereine des Roten Kreuzes in
Deutschland gegründet. Sie begehen derzeit ihre
hundertjährigen Jubiläen.
Die allumfassenden gesellschaftlichen Erschütterungen der
beiden Weltkriege berührten auch die deutsche nationale
Rotkreuzgesellschaft, das DRK.
Historiker bestätigten, dass das DRK die einzige
Großorganisation im Dritten Reich war, die sich nicht in
vollständiger Abhängigkeit von der NSDAP befand.
Seine internationalen Verflechtungen, die mit der Solidarität
der Hilfsorganisationen verbunden war, ließen die Nazis vor
Regressionen und Angriffen zurückschrecken. Dennoch gab es
Gleichschaltungsversuche, Kooperationen und Verflechtungen mit der SS
und der NSDAP. Korrumpierte Funktionäre täuschten den
Mutterverband IKRK bewusst über die Auswüchse im
nationalsozialistischen System hinweg. Die Liste der Verfehlungen
reicht von Beteiligungen an der Euthanasie bis zu medizinischen
Menschenversuchen. Dadurch verschob sich der dennoch unantastbare
humanitäre Kern der Rotkreuzarbeit hin zur reinen
Sanitätstruppe. Später war es der Suchdienst des DRK,
der in den Kriegswirren Vermissten Kontakt zu den Angehörigen
ermöglichte.
So haben Historiker feststellen können, dass das DRK im
Zweiten Weltkrieg einerseits eine Nische für Menschen war, die
dem Zugriff der Nazis entgehen wollten, andererseits mit Teilen des
herrschenden Regimes kooperierte und drittens aufopferungsvolle
humanitäre Arbeit in den Kriegsgebieten leistete.
1949 wurden die vier Genfer Abkommen in ihrer heute gültigen
Form verabschiedet. Sie schützen die Opfer bewaffneter Kriege,
namentlich Verwundete, Schiffbrüchige, Soldaten,
Kriegsgefangene und Zivilisten in Kriegszeiten.
Es war Henry Dunant, der den Weg ebnete, Menschlichkeit inmitten der
Unmenschlichkeit zu leben und den Grundstein zur Rot-Kreuz-Bewegung
legte.
Heute haben fast 200 Staaten die Genfer Abkommen ratifiziert, die den
Kern des humanitären Völkerrechtes bilden. Immer noch
ist das internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) Wächter
dieser Abkommen und der uneingeschränkten Würde, der
Rechte und des Lebens der Menschen in den vielen Kriegsgebieten dieser
Welt.
Es gibt mehr als 180 nationale Rot-Kreuz- oder
Rot-Halbmond-Gesellschaften weltweit. Sie alle setzen sich ein
für Menschen in Not. Die Gesellschaften sind besonders aktiv
in der Katastrophenhilfe und Vorsorge, dem Gesundheits- und
Sozialwesen, der Verbreitung humanitärer Werte und Prinzipien.
Auch das Deutsche Rote Kreuz gehört zur internationalen
Förderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften. Sie
war 1919 gegründet worden und koordiniert neben der Betreuung
in den Kriegsgebieten die Hilfe bei Naturkatastrophen, Erdbeben,
Vulkanausbrüchen, Überflutungen, aber auch bei
großen Flüchtlingsströmen von Menschen, die
in ihrer Heimat bedroht sind und kein Zuhause mehr finden.
In genau diesem Augenblick helfen Millionen Mitarbeiter und freiwillige
Helfer des Roten Kreuzes Angst, Hunger und Not zu lindern. Sie
verwirklichen so die Grundidee Henry Dununts.